Kategorien
Allgemein

Berühmt und berüchtigt – Die Eisenbahnstraße

Eine ehrliche Haut

Die Eisenbahnstraße ist eine sehr ehrliche Straße, die tut nicht nur so als ob. Das erkennt man schon am Straßennamen, denn der geht tatsächlich auf die Eisenbahntrasse zurück, die dieselbe Streckenführung hatte.

1835/36, also ca. 25 Jahre nach der Leipziger Völkerschlacht (ihr wisst schon: 16.–19. Oktober 1813), begannen die Bauarbeiten für diese erste Fernbahnstrecke von Leipzig nach Dresden. 1839 konnte schließlich eingeweiht werden. Vierzig Jahre später 1879 wurde die Trasse aber schon nach Norden verlegt, dorthin, wo auch heute noch die Schienen verlaufen. Aus der Bahnanlage wurde eine Straße, und zwar weiterhin eine mit Schienen. Darauf fuhr ab 1882 eine Pferdeeisenbahn, d. h. eine von Pferden gezogene Tram. Im Netz der Leipziger Pferdeeisenbahn gehörte die Eisenbahnstraße zur Linie aus Plagwitz über den Felsenkeller zu Westplatz, Königsplatz durch die Bahnhofstraße und Eisenbahnstraße bis schließlich nach Volkmarsdorf. Wenige Jahre später elektrifizierte man dieses städtische Eisenbahnnetz, und so fuhr ab 1896 „die Elektrische“ auf der Eisenbahnstraße entlang.

Wer sich einen Eindruck verschaffen will, wie das in etwa aussah, kann das erfreulicherweise mit dieser Tramfahrt von 1931 auf YouTube tun. Dank der Vertonung eignet sich das Video auch als Meditationshilfe, z. B. darüber, wie sich das Verhalten beim Radfahren durch das Jahrhundert nicht geändert hat, wie entspannt der Verkehr mit so wenig Autos ist oder darüber, dass keine Fitnessstudios braucht, wer seinen Kram auf Handkarren durch die Stadt schiebt. Da wäre so ein elektronisches Lastenrad echt hilfreich.

Broadway der Arbeiterklasse

Zu dieser Zeit, während der 1920er/30er gehörte die Eisenbahnstraße zum „Roten Osten“ und galt als „Broadway der Arbeiterklasse“. Kinos (sechs Stück sollen es gewesen sein), Restaurants und Geschäfte reihten sich aneinander. Auch Ernst Thälmann war mehrfach in der Gegend und – ehrlich wie die Straße ist – hieß sie sodann von 1945 bis 1991 Ernst-Thälmann-Straße.

Dass an der Straße und Drumherum v. a. Menschen aus der sog. „Arbeiterklasse“ lebten, war nicht verwunderlich. Schon die ersten Ansiedlungen auf dem Rittergut Schönefeld, Neuschönefeld genannt, sind niedrige Mietshäuser für die „arbeitende Classe“ (Redaktion Pro Leipzig, 1999). Dazu kommen kleinere Gewerbetreibende, Menschen aus dem Handwerk und, aufgrund der Nähe zu den Bahnhöfen, Angestellte der Eisenbahn. Letztlich niemand, dem die Stadt viel positive Aufmerksamkeit schenkte. Diese Mischung ändert sich über die Jahrzehnte nicht sonderlich. Der schlechte Ruf der Straße hat sich über all die Zeit erhalten: mal wegen Ungeziefer und zu enge Straßen, mal wegen einstürzende Altbauten oder Drogendelikten und Vermüllung. Nicht zuletzt hatte Leipzigs erste Waffenverbotszone gewisse Vorurteile zementiert (mittlerweile dürft ihr eure Kalaschnikow aber wieder mitbringen).

Einstürzende Altbauten und veganes Craftbeer

Zu DDR-Zeiten verfallen die Altbauten zunehmend. Schließlich reißt die Stadt ab Ende der 1970er Jahre großflächig Gebäude ab, z. B. dort wo heute der Otto-Runki-Platz und das Rabet sind (warum Letzteres so heißt, ist eine andere Geschichte, aber so viel sei verraten, auch dieses Gebiet war einschlägig verschrien). Die schlechte Wohnsituation bleibt allerdings bis weit nach der Friedlichen Revolution bestehen. Folglich zieht weg, wer kann. Bis 2006 hat sich die Zahl der Anwohner*innen mehr als halbiert. Das ändert sich erst dank Einwanderung und Migration, was die Straße zur vermutlich besten Döner-Meile Leipzigs macht, obwohl das kulinarisch nicht mal die halbe Wahrheit ist (gibt schließlich auch noch Nachtisch). Studierende und Kreative, denen die Südvorstadt und Plagwitz zu teuer geworden ist, gesellen sich dazu – vegane Burger und Craftbeer gibt es nun auch (ja, lecker) . Schöner als ich hat das vor Jahren schon André Herrmann geslammt mit „Die neue Hood“. Und was wollte man da auch noch hinzufügen?

 

Quellen:

Michael Liebmann (Hrsg.): Schönefeld mit Abtnaundorf, Neustadt und Neuschönefeld. Ein Leipziger Stadtlexikon, Pro Leipzig 2019, S. 75–77.

Leipzig Lexikon: Pferdeeisenbahn, http://www.leipzig-lexikon.de/VERKEHR/lpe.htm (25.07.2021).

Redaktion Pro Leipzig: Neuschönefeld, Neustadt, Volkmarsdorf. Eine historische und städtebauliche Studie, Pro Leipzig 1999.

Stadt Leipzig: Waffenverbotszone Eisenbahnstraße, https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/sicherheit-und-ordnung/kommunaler-praeventionsrat-leipzig/aktionsprogramm-waffenverbotszone/ (25.07.2021).

Kategorien
Begrüßung

Was ist das hier?

Was ist das hier?

Um Fragen dieser Art zu beantworten, kann man zwei Dinge tun: Alles aufzählen, was ist. Oder: Alles aufzählen, was nicht ist.
Ich mache nun einfach beides und spiele Ping Pong mit dem Sein und dem Nicht-Sein.

Es ist ein weiteres Lektor*innen-Blog,
handelt aber nicht von der Schönheit der Rechtschreibung oder der Eleganz der Grammatik.
Ich schreibe über Sprache und darüber, was man mit Sprechen alles machen kann, wie Menschen für immer aneinanderbinden oder eine Straftat begehen.
Buchrezensionen wird es keine geben.
Aber übers Büchermachen werde ich schreiben; bspw. wie viele Berufe sind nötig bis zum fertigen Buch im Regal? (Spoiler: viele).
Schreibtipps, Schlaues zur Figurenentwicklung oder wie man eine Schreibblockade überwindet, kann ich nicht anbieten.
Dafür findet man hier Geschichten über die Geschichte vor meiner Haustüre in Leipzig, was bspw. der Stuck an der Hauswand sagt oder was sich hinter einem Straßennamen verstecken kann.

Der Zweck von so viel Vagheit liegt einleuchtenderweise darin, mir nahezu alle Optionen offenzuhalten
und Ihnen als Lesepublikum einen bunten Erwartungshorizont zu malen.

Ist nicht alles

Alsbald werde ich monatlich (das ist natürlich ein Vorsatz, der nur darauf wartet, gebrochen zu werden) hier einen neuen Text einstellen,
der von irgendeinem der oben aufgelisteten Themen handelt oder nicht handelt. Man merkt, ich habe mal einen Kurs in Argumentationslogik besucht.

Außerdem interessiert mich Historisches, nach dem Motto: Wenn man weiß, woher man kommt, kann man besser ausgucken, wohin man geht. Neben der Frage, warum Straßen so heißen, wie sie heißen, befällt mich manchmal die Nostalgie mit Blick auf das, was einmal das Graphische Viertel war. Oder ich wundere mich, weshalb sich plötzlich alle über diese Sache mit dem „Gendern“ echauffieren und seit wann es eigentlich gibt.

Darüber hinaus bin ich, wie alle Menschen, die in der Buchbranche tätig sind, eine Idealistin. Ich glaube:
Wer liest, der denkt auch.
Wer denkt, der fragt nach.
Und wer nachfragt, der will einen Blick aus seiner Suppentasse wagen.

Solcherart aufgeschlossene Menschen kennen, und mögen vielleicht sogar, das Gefühl, wenn im Kopf das Denken mal die Richtung wechselt.
Das Gefühl herauszukitzeln, ist für die kommenden Beiträge mein Ziel.